Es gibt Künstler, die durch einen einzigen Song zu Legenden werden – Kiddus I ist einer von ihnen. Mit dem Song „Graduation in Zion“, der durch den Kultfilm „Rockers“ unsterblich wurde, schrieb er Reggae-Geschichte. Doch hinter dem Mann mit dem spirituellen Künstlernamen verbirgt sich weit mehr als ein One-Hit-Wonder.
Kiddus I ist Sänger, Rastafari, Aktivist und Visionär. Seine Karriere ist geprägt von Höhen und Tiefen, von spiritueller Tiefe und musikalischer Konsequenz – und von einem unerschütterlichen Glauben an Musik als Werkzeug für Bewusstsein und Veränderung.
Geboren wurde Kiddus I 1944 als Frank Dowding in Saint Mary, Jamaika. Seine Mutter Maria Cathcart Dowding kümmerte sich um den Haushalt, während sein Vater Frank Dowding als Buchhalter arbeitete. Schon früh entwickelte er ein starkes Bewusstsein für soziale Ungleichheiten – eine Haltung, die später seine Musik und sein Leben prägen sollte.
Als junger Mann schloss sich Dowding der Rastafari-Bewegung an und wählte den Künstlernamen Kiddus I, was auf Amharisch „der Gesegnete“ bedeutet. Rastafari wurde für ihn zur Lebensphilosophie, zum spirituellen Wegweiser – und zur Basis seiner musikalischen Ausdruckskraft.
1971 gründete er ein Rastafari-Kommunenzentrum in Kingston, das als Treffpunkt und Handwerkszentrum diente – ein Ort des Austauschs, der Spiritualität und der Kreativität, mitten in einer Stadt, die stark durch soziale Schranken geteilt war. Dieses Zentrum symbolisierte Kiddus’ Wunsch, Grenzen zu überwinden – musikalisch, sozial, kulturell.
Im selben Jahr trat er der legendären Nyabinghi-Gruppe „Ras Michael and the Sons of Negus“ bei. Als Sänger und Funde-Drummer sammelte er dort seine ersten musikalischen Erfahrungen. In dieser Zeit lernte er den Gitarristen Earl „Chinna“ Smith kennen, der ihn über Jahrzehnte begleiten sollte.
Ein Schlüsselmoment in Kiddus’ Karriere war 1976. Regisseur Ted Bafaloukos wurde auf ihn aufmerksam, als dieser gerade den Song „Graduation in Zion“ im Studio aufnahm.
Zwei Jahre später wurde die Szene für den Film „Rockers“ nachgedreht – ein filmischer Meilenstein des Reggae, der Kiddus I über Nacht zur Kultfigur machte. Seine Performance – ruhig, fokussiert, spirituell – berührte die Zuschauer weltweit.
Während Kollegen wie Burning Spear, Inner Circle oder Gregory Isaacs durch den Film eine internationale Karriere starten konnten, verlief Kiddus’ Weg deutlich steiniger.
Mastertapes gingen verloren, Studiozugänge wurden ihm aufgrund seiner politischen Reden auf der Bühne verweigert – Kiddus I bezeichnet sich daher selbstironisch als „The most recorded but never released artist“.
Trotz aller Rückschläge veröffentlichte er in den 1970er-Jahren bedeutende Singles wie „Security in the Streets„, aufgenommen mit dem legendären Lee „Scratch“ Perry im Black Ark Studio. Der Song wurde zu einer Hymne der Friedensbewegung rund um das „Peace Treaty„ von 1978 zwischen rivalisierenden politischen Gangs in Jamaika.
Auch Songs wie „Fire Burn„ (1975) festigten seinen Ruf als kritischen, spirituellen Künstler. Doch vieles blieb im Verborgenen – unter anderem ein ganzes Album, dessen Mastertapes jahrelang verschollen waren. Erst 2007 tauchten sie wieder auf, und 2009 erschien endlich das Doppelalbum „Rocking Rebel Volumes 1 & 2„.
Es war das französische Label Makasound, das Kiddus I 2005 mit dem Projekt „Inna de Yard“ erneut ins Rampenlicht rückte. Dort traf er auf viele andere Veteranen des Roots Reggae, darunter Earl Chinna Smith und Cedric Myton. Das Konzept: akustisch eingespielte Musik, aufgenommen im Garten von Chinna Smiths Haus – pur, roh, ehrlich.
2009 folgte das Album: „Green Fa Life„. Neben Chinna Smith spielten unter anderem Leroy „Horsemouth“ Wallace und weitere Größen des Genres mit. Kiddus nutzte die Plattform, um nicht nur Musik, sondern auch seine Überzeugungen zu verbreiten – etwa mit seinem gleichnamigen Umweltprojekt, das die Pflanzung des nährstoffreichen Moringa-Baums auf Jamaika fördern soll.
Mit dem 2012 erschienenen Album „Topsy Turvy World“ bewies Kiddus I erneut seine musikalische Tiefe. Die Songs, gemeinsam aufgenommen mit Legenden wie Aston „Familyman“ Barrett, Tyrone Downie, Sticky Thompson und einer Reihe deutscher Musiker, transportieren den Geist der 1970er in die Gegenwart.
Es ist ein Album, das zwischen Party-Vibe und Melancholie pendelt, und stilistisch irgendwo zwischen Roots, Soul, Jazz und Blues schwebt – immer getragen von Kiddus’ ruhiger, markanter Stimme und tiefgründigen Lyrics.
Seine Texte sind rebellisch und poetisch zugleich, nie belehrend, aber stets mit einer klaren Botschaft. Ob politische Kritik oder spirituelle Erkenntnis – Kiddus I verpackt seine Inhalte mit viel Feingefühl, Humor und musikalischer Finesse.
Kiddus I ist ein Künstler, der sich nie dem Mainstream unterworfen hat. Seine Karriere war keine gerade Linie, sondern ein spiritueller Pfad – mit Stolpersteinen, Umwegen, aber auch Momenten der Erleuchtung. „Graduation in Zion„ machte ihn zur Legende, doch sein musikalisches Schaffen reicht weit darüber hinaus.
Er ist nicht nur ein Musiker, sondern ein Rastafari, ein Aktivist, ein Lehrer – ein „Shepherd“, wie ihn viele seiner Zeitgenossen nannten. Künstler wie Bob Marley, Peter Tosh oder Jacob Miller teilten mit ihm nicht nur die Bühne, sondern auch das Gespräch, die „Reasonings“.
Für alle, die auf der Suche nach ehrlichem, handgemachtem Roots Reggae mit Tiefgang sind, ist Kiddus I ein unverzichtbarer Künstler. Kein Blender, kein Popstar – sondern ein echter Visionär, dessen Werk heute mehr denn je entdeckt werden will. Und wie er selbst sagt: No, it won’t be too long…
2005
Kiddus I
2007
All Stars Inna de Yard Compilation
2017
The Soul of Jamaica
2019
Inna de Yard
2023
Family Affair
2007
Rockers: Graduation In Zion 1978-1980 Compilation
2009
Green Fa Life
2009
Rocking Rebel Vol. 1 Compilation
2009
Rocking Rebel Vol. 2 Compilation
2013
Topsy Turvy World
2018
Stick to the Course
2018
Topsy Turvy Dub
2023
Sheperd Singles 1979-1985 Compilation
2024
The Salmon
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